Die meisten fotografischen Bilder nehmen wir heute digital vermittelt auf dem Computerbildschirm oder Smartphone wahr. Die Ort- und Körperlosigkeit einer Aufnahme, die sich darin zeigt, dass sie auf unterschiedlichsten Trägern zeitgleich und jeweils leicht variierend erscheinen kann, bildet den Ausgangspunkt für die jüngste Werkreihe, die Anne Pöhlmann für ihre Ausstellung im Bonner Kunstverein entworfen hat.

Ihr medienreflexiver und objektivierender Zugriff auf die Fotografie ist Triebfeder der künstlerischen Praxis von Anne Pöhlmann, in der nicht allein Motiv oder Komposition, sondern auch Entstehungsprozess und Materialität im Fokus stehen. Zum einen geht es um so etwas wie die Grundlagenforschung zur Erzeugung fotografischer Bilder, die mit dem Einzug der digitalen Technologie einen Paradigmenwechsel erfahren hat, zum anderen um die Wirkungsgeschichte dieser, ihren immensen Einfluss auf unsere Sehkonventionen und damit letztlich ihre Wirkungsmacht bei der Konstitution und Konstruktion unserer Vorstellungen von Wirklichkeit. Längst ist eine Entkoppelung oder besser Verkehrung der herkömmlichen Gleichung von Ursache und Wirkung festzustellen. Im folgenden Gespräch zwischen Anne Pöhlmann und Andrew Renton erzählt die Künstlerin von ihren allerersten fotografischen Erfahrungen und der Enttäuschung angesichts ihrer ersten Aufnahmen, die nie das zeigten, was sie sich zuvor vorgestellt, respektive gesehen hatte.  Heute machen wir die umgekehrte Erfahrung: Das schnelle digitale Foto auf dem Smartphone wird mit ein paar weiteren Clicks bearbeitet und sofort in den Freundeskreis versendet, bis sich nach und nach mittels des Transfers der Instant-Bilder in den sozialen Medien das bildnerische Puzzle einer momentan gelebten Realität zusammenbaut, das bei tatsächlichem Erleben möglicherweise den Erwartungen nicht entspricht. Etwas überspitzt formuliert: Lag die Enttäuschung in Pöhlmanns Kindheit in der Fehlerhaftigkeit der Fotografie begründet, wird heute die Erwartungshaltung gegenüber der erlebten Realität geschmälert, die der schnellen, digital inszenierten Bildansammlung nicht standzuhalten vermag.

Mit diesem Paradigmenwechsel, in dem sich neue Umgangsformen mit der Fotografie und ihrer abgebildeten Realität entwickeln, büßt das einzelne fotografische Abbild mit Motiv, Komposition und seiner Behauptung von Realität vor dem Hintergrund der schieren Masse an Bildern ihre Wirkungsmacht ein. Ähnlich geht es dem Fotografen selbst, der bei der Schaffung seiner Bilder an Kontrolle verliert, in Abhängigkeit zu unterschiedlichen Computerprogrammen, die sich durch Upgrades und Einführung neuer Technologien stets wandeln. So macht Anne Pöhlmann, indem sie die Texturen von Stoffen fokussiert und diese wiederum auf Stoff drucken lässt, auf die innersten Strukturen des fotografischen Bildes aufmerksam. Das digitale Bild zeichnet sich durch eine Pixelstruktur aus, die in Pöhlmanns Sichtweise eine Doppelung in Form des Motivs (Nahaufnahme eines Stoffes) und in Form der Materialität (textiler Träger des fotografischen Bildes) erhält.  Der Ausstellungsraum schließlich funktioniert als räumlich aufgefasster Screen und Ort des Layouts. Während wir auf dem Bildschirm unterschiedliche Fenster öffnen, verschieben oder schließen, verlinkt die Künstlerin ein monochromes und abstrakt anmutendes visuelles Referenzsystem mit dem tatsächlichen Raum. Die mit fotografischen Bildern bedruckten Stoffbahnen hängen sowohl an der Wand als auch im Raum und öffnen als bildnerische Fenster nicht den Blick für eine außerhalb des Ausstellungsraums stehende Realität, sondern für grundlegende digitale Muster, in denen die aktuellen Vorstellungen von Wirklichkeit gefangen sind.

Peter Mertes Stipendium 2013
June 14 – August 24, 2014
Bonner Kunstverein
www.bonner-kunstverein.de